Heizer mit Immatrikulationshintergrund
Als die Dampflokomotiven ausrangiert wurden, brauchte es keine Heizer mehr. Logisch! Überhaupt nicht logisch! Denn bis weit in die heutige Zeit hinein fuhren die Heizer trotzdem im Führerstand mit – am längsten in England. Margaret Thatcher hat dann aber den Gewerkschaften den Tarif erklärt und die Heizer aus den elektrischen Lokomotiven wegrationalisiert. Das ist noch gar nicht so lange her.
Eigentlich verrückt. Da werden Leute ausgebildet, die es gar nicht braucht. Und dann werden sie irgendwie beschäftigt, weil sie ja da sind. Das ist wie wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt. Abwegig, bar jeder Vernunft. Könnte man meinen.
Doch: Wenn es um die akademische Ausbildung geht, scheint sich der gesunde Menschenverstand ebenfalls aus dem Kreidestaub gemacht zu haben. Gemäss dem schweizerischen Bundesamt für Statistik ist die Zahl der Absolventen in den Geistes- und Sozialwissenschaften zwischen 2002 und 2008 um 38 Prozent gestiegen. Mit welchen überlebenswichtigen Fragen man sich da auseinandersetzt, zeigt beispielsweise das Semesterprogramm der Literaturwissenschaften an der Universität Zürich. «Wie verhält sich die inhärente Pluralität literarischer Texte dazu, dass jeder literarische Text als solcher auch eine Singularität darstellt?» Oder nicht minder bedeutungsschwanger: «Was bedeutet der Prozess der Weltliteratur zum Grossen, Gleichen, Allgemeinen, wie behauptet sich das Kleine gegenüber dem Grossen, der einzelne poetische Text gegenüber der Weltliteratur?»
Der Sinn solch akademischer Sandkastenübungen erschliesst sich nicht jedem Normalsterblichen auf Anhieb. Wahrscheinlich sind sie – die Normalsterblichen – halt einfach zu weit weg von den heiligen Hallen des Geistes. Oder andersrum: Sie sind zu nah am tätigen Leben, an den Alltagsthemen – sie sind quasi realitätskontaminiert. Und mit Belanglosigkeiten – wie dem Leben – mag man sich in den Elfenbeintürmen ja nicht belasten. Das wäre ja unter jeder Würde: Wenn der Hochschulbetrieb sich von so etwas Profanem wie «Nutzen» müsste leiten lassen. So wird unentwegt Hochschulausbildung gefördert – um jeden Preis. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Eigentliche schade. Denn die Schweiz verfügt über ein elaboriertes duales Bildungssystem. Und es wäre wahrscheinlich allen besser gedient, dieses System flexibel an die sich verändernden Bedürfnisse anzupassen, statt die Leute massenweise in die Akademisierungsfalle zu locken.
Denn gerade auch im internationalen Vergleich zu jenen Ländern mit inflationär hohen Hochschulquoten ist hierzulande die (Jugend)Arbeitslosigkeit statistisch kaum existent.
Demgegenüber sind die Aussichten – zum Beispiel für die Absolventen der Sozial- und Geisteswissenschaften in den Niederungen der Arbeitswelt keineswegs rosig – ausser natürlich im öffentlichen Sektor. Trotzdem werden massenweise Leute ausgebildet, die es eigentlich nicht braucht. Aber wenn man sie nun schon ausgebildet hat, schafft man halt irgendwelche Beschäftigungen. Wie weiland für die Heizer auf elektrischen Lokomotiven. Heutzutage heizen sie zwar auch – die Bürokratie an. Und: Sie haben Immatrikulationshintergrund.
Die Heizer haben es sich damals an ihrem «Arbeitsplatz» entweder behaglich eingerichtet oder sie waren ob ihrer Überflüssigkeit frustriert. Weshalb soll das heute anders sein?
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