Die Generation Kartoffelsack wird an Elternhaltestellen ausgeladen
Viele Menschen verbringen ihre Zeit körperlich dermassen inaktiv, dass kaum mehr der Bewegungsmelder reagiert. Die Suche nach dem leichten und bequemen Leben ist ein Merkmal der gesellschaftlichen „Entwicklung“. Die entsprechenden Angebote haben denn auch Hochkonjunktur. Es bilden sich Schlangen vor der Rolltreppe, dieweil die Treppe leer ist.
Und selbst für den Weg ins nächste Stockwerk wartet man lieber auf den Lift. Man könnte meinen, die Gesellschaft spiele Mikado: Wer sich bewegt, der hat verloren.
Die Jugendlichen stehen in dieser Beziehung den Erwachsenen in nichts nach. Im Gegenteil: Eigentlich ist es gut, dass die Kinder digital dermassen aufgerüstet sind. Denn: Wenn sie das Handy aus der Tasche nehmen, vollbringen sie immerhin eine Bewegung.Das Schulsystem kann sich ja normalerweise nicht rühmen, körperliche Aktivitäten zu fördern. Die Kurzaufenthalte in der Turnhalle bringen die Schüler nicht nachhaltig auf die Beine. Eine Folge: Nur etwa zehn Prozent der Jugendlichen erreichen den Bewegungsumsatz, den sie eigentlich für ein gesundes Leben bräuchten. Oder anders gesagt: Neun von zehn Jugendlichen bewegen sich deutlich zu wenig. Das hat vor allem damit zu tun, dass im Alltag die Bequemlichkeit den Takt angibt – und dann auch die Konfektionsgrössen bestimmt. Sogar der Schulweg lässt sich heutzutage quasi bewegungsneutral bewältigen. Deshalb haben neuerdings mehrere Schulen in Nordrhein-Westfalen sogenannte Elternhaltestellen eingerichtet. Noch einmal: Elternhaltestellen! Die treubesorgten Mütter und Väter können ihre Sprösslinge zwar nicht direkt ins Klassenzimmer karren. Aber immerhin: Sie können sie direkt vor dem Eingang ausladen.
Dabei: Die Daten zum gesellschaftlichen Bewegungsverhalten sind erschreckend. Sitzen und Liegen dominieren den Alltag. Das zeitigt jede Menge gesundheitlicher Folgen und verursacht gigantische volkswirtschaftliche Kosten. Tendenz steigend.
Zwar boomen die Fitnesscenter und die Sportvereine finden durchaus ein jugendliches Publikum. Aber es erweist sich als Irrweg, sich durchs Leben zu fläzen, um ab und an das sportliche Outfit auszulüften. Sogar wer wöchentlich zwei, drei Mal ein Training besucht, schafft es nicht, die gesellschaftsübliche Bewegungsarmut zu kompensieren.
Entscheidend ist vielmehr das, was James Levine NEAT nennt – non-exercise activity thermogenesis. Oder ein bisschen einfacher: Die alltäglichen Situationen in Bewegungssituationen umwandeln: weniger liegen – mehr sitzen, weniger sitzen – mehr stehen, weniger stehen – mehr gehen. Das gilt auch und gerade für die Schule. Zumal die Zusammenhänge zwischen geistiger und körperlicher Aktivität spätestens seit Juvenal (und damit seit zweitausend Jahren) kein Geheimnis mehr sind.
Schulische Konzepte, die solche Gedanken aufnehmen, lassen sich in der Regel von ganzheitlicheren Bildungszielen leiten. Sie wollen, dass die Heranwachsenden in einem umfassenden Sinne fit sind fürs Leben. Das setzt das Bewusstsein voraus, dass Lernen nicht die Reaktion ist auf Lehren, dass nachhaltiges schulisches Lernen gebunden ist an die Aktivitäten des einzelnen Lernenden. Denn: Lernen ist ein Verb. Und ein Handwerk. Das gedeiht besser in offenen Lernformen mit vielfältigen Bewegungen, die sich aus dem Arbeit heraus ergeben. Dazu gehören handlungsorientierte Arrangements, Verarbeitungstiefe, Peer-tutoring und all das, von dem Johann Wolfgang Goethe sagt, es sei das Synonym für Erfolg: TUN.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Wer tätig ist, bewegt sich, bewegt seinen Geist, bewegt seinen Körper – und nicht nur die Pupillen vor dem Bildschirm.
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