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Für die Made im Speck macht es keinen Sinn, sich anzustrengen

 

Es gibt Begriffe, die widerspiegeln den Zeitgeist. «Rechte» zum Beispiel ist solch ein Wort. «Pflichten» nicht. «Fordern» ist in. «Leisten» out. «Haben»: ja. «Tun»: lieber nicht. Gesellschaftliche Trends zeigen sich in Haltungen und Handlungen. Und die wiederum finden sich in dem, was gesagt und geschrieben wird. Wirklichkeit schafft eben auch Sprache. Nicht nur umgekehrt.

Nach den verheerenden Kriegszeiten in der Mitte des letzten Jahrhunderts standen die Zeichen auf «Aufbau». «Ärmel hochkrempeln» hatte etwas mit Arbeit zu tun – nicht mit Modeschau. Und Fleiss und Arbeit sollten sich bezahlt machen. Das hat offensichtlich funktioniert. Jedenfalls lebt die heutige Gesellschaft nicht schlecht mit der Hinterlassenschaft der Gründergeneration: Man leistet sich Erdbeeren im Winter, kreiert Minderheiten zur Pflege des Gutmenschentums, produziert im Namen politischer Korrektheit immer weniger Sagbares und immer mehr Unsägliches, suhlt sich in den medialen Seichtgebieten, adelt Straftäter zu Aktivisten, erfindet den Lohn fürs Nichtstun, füttert eine Bürokratie, die sich nicht nur ausbreitet wie ein Krebsgeschwür, sondern sich auch so verhält und auf alles zugreift, was noch einigermassen gesund ist.

Eine Kultur drückt sich in ihrer Sprache aus. Bis in die Gegenwart hinein verfallen ganze Länder in eine kollektive Schockstarre bei Begriffen wie «Führer» oder «Führung». Will heissen: Es gibt Begriffe, die sind assoziativ belastet. Entsprechend lassen die heutigen Lebensweisen bestimmte sprachliche Wendungen als geradezu kontaminiert erscheinen. «Arbeit» beispielsweise. Auf einer Internet-Plattform konnten die Menschen darlegen, was Arbeit für sie bedeutet. Plackerei, Stress, Ärger, Aufgabe seiner selbst, unnötig, Selbstausbeutung, Kapitalismus – das waren die häufigsten Nennungen. In dieser Reihenfolge.

Ein anderes Beispiel: «Disziplin» und «Selbstdisziplin». Komplett aus der Mode. Klingt nach Arbeit. Und «Arbeit» – siehe oben. Verständlich deshalb: Wenn Menschen nach Charakterstärken gefragt werden, landet «Selbstdisziplin» abgeschlagen auf dem letzten Platz.[1] Aufschlussreich ist aber: Bei den Schwächen nahm «mangelnde Selbstdisziplin» den Spitzenrang ein. Das heisst: In den Niederungen des Alltages, dort wo es drauf ankommt, merken die Menschen, was fehlt. Selbstdisziplin eben, die Fähigkeit, den inneren Schweinehund an die kurze Leine zu nehmen. Das klingt nicht nur anstrengend – es ist es auch. Aber genau das ist es, was eigentlich Spass macht, das Gefühl der kleinen Siege über sich selbst. Und vor allem auch: Es befreit. Selbstdisziplin hat etwas hochgradig Befreiendes. Sie befreit davon, zur Pillenschachtel, zur Zigarette oder zum zweiten Stück Kuchen greifen zu müssen. Sie befreit davon, sich anlügen zu müssen, weil man das, was man eigentlich tun wollte oder sollte, vor sich hergeschoben hat wie eine Wanderdüne. Sie befreit davon, «ja» zu sagen, wenn man eigentlich «nein» meint.

Allerdings, für diese Art der Befreiung kann man sich nicht auf die Anderen, auf den Staat oder auf wen auch immer berufen. «Selbst» heisst das Schlüsselwort. Auch das ist ein Begriff, der fehlt im aktiven Wortschatz der Verantwortungsflüchtlinge, die in die Willkommenskultur der Komfortzone drängen, um dort ihre Befindlichkeiten zu zelebrieren. Es ist der ideale Brutplatz für die Idee, ein Anrecht zu haben auf einen bedienten Sonnenplatz im Wohlfühlklima der Vollkaskogesellschaft. Gerade im urbanen Chic des «Anything Goes» haftet allem, was nach Selbstdisziplin riecht, der Stallgeruch des Uncoolen an, des Verstaubten, des Ewiggestrigen. «Anstrengung», «Fleiss» und «Leistung» nehmen dementsprechend Spitzenplätze ein auf der Liste der zeitgeistigen Unwörter. Für die Made im Speck macht es schliesslich auch keinen Sinn sich anzustrengen.

Und dennoch – oder gerade deswegen – ist es allerhöchste Zeit, die uncoolen Begriffe wieder aufzunehmen in die pädagogische und erzieherische Alltagssprache. Denn: Der Weg in ein «gutes» Leben führt über eine Stärkung der Selbstdisziplin.

 

 

 

[1] Baumeister, Roy/Tierney, John: Die Macht der Disziplin. Wie wir unseren Willen trainieren können.