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4. Fachliche Fitness: Sich die Dinge zu eigen machen – weil verstehen Spass macht

Aus der Schulzeit sind mir nur meine Bildungslücken erinnerlich». Eine erheiternde Bilanz des Malers Oskar Kokoschka. Aber auch eine ernüchternde. Hirnforscher Gerhard Roth legt nach: «Alle Überprüfungen des Wissens, das junge Menschen fünf Jahre nach Schulabschluss noch besitzen, zeigen, dass das Schulsystem einen Wirkungsgrad besitzt, der gegen null strebt». Und die meisten Menschen werden beim selbstkritischen Blick auf die eigene Schulbiografie zu ähnlichen Ergebnissen gelangen. Was hat man nicht alles in sich hineingestopft – und wie wenig ist davon hängengeblieben. Wobei «hängengeblieben» – das ist eigentlich die sprachliche Spitze des falschen Eisbergs. Denn Ziel sollte nicht sein, Dinge so auswendig zu lernen, dass sie «hängenbleiben». Es reicht nicht zu wissen (und in einem Test hinschreiben zu können): «Nomen schreibt man gross». Auf die Puddingprobe kommt es an: The proof of the pudding is in the eating. Anders gesagt: Schulisches Lernen ist dann erfolgreich, wenn es sich in der Alltagssituation bewährt. Wer fachlich fit ist, kann mehr, als die richtigen Dinge zum richtigen Zeitpunkt aufs richtige Blatt zu schreiben. Viel mehr.

Schulisches Lernen muss unter die Oberfläche führen, unter die Haut gehen sozusagen. Das Stichwort heisst «Verarbeitungstiefe».

Wer einer Erklärung über das Kürzen von Brüchen zuhört ist weniger in einen Verarbeitungsprozess einbezogen als wer selber entsprechende Probleme löst. Und wer anderen anhand von Beispielen erklärt, wie man Brüche kürzt, ist noch einmal mehr involviert.

verarbeitungstiefeVerarbeitungstiefe bedeutet demzufolge: das Ausmass der kognitiven Aktivitäten, die ein Lernender darauf verwendet, die Dinge zu verstehen, um die es geht.

Lernen erfolgt umso wirkungsstärker, je besser Informationen mit Vorwissen und Vorerfahrungen verknüpft werden. Dazu müssen Lernende selber tätig werden, sich auf kreative und variable Weise auseinandersetzen mit den Dingen, müssen Zusammenhänge und Muster erkennen und entsprechende inhaltliche Verbindungen knüpfen und Bezüge zur Lebenswelt herstellen können. Verstehendes, generierendes Lernen ist damit alles andere als ein Zuschauersport. Generieren heisst: etwas erzeugen, konstruieren, hervorbringen, den Dingen Gestalt geben. Voraussetzung dafür ist der Anspruch an das eigene Verstehen. Und Neugier ist eine Triebfeder dafür, das Interesse an der Welt, an dem, was um einen herum vorgeht. Denn Lernaktivitäten mit geringem Involvement sind in aller Regel auch geringer Aufmerksamkeitszuwendung verbunden. Und mit entsprechend oberflächlichen und kurzfristigen Ergebnissen. Wenn überhaupt.

Dabei ist es genau das, was Lernende möglichst häufig erleben sollten – dieses saugute Gefühl, etwas wirklich verstanden und begriffen, Zusammenhänge erkannt und sich zu helfen gewusst zu haben. Solche Aha-Erlebnisse sind quasi der emotionale Lohn für das Involvement. Das Gehirn schickt seine Botenstoffe auf die Reise. Wenn der Groschen fällt, steigt das Dopamin. Und das tut gut. Es ist dann, wenn Lernen richtig Spass macht.

Lernen heisst also, mit Daten etwas machen, sie umwandeln und umformen in Bedeutung. Sich die Dinge zu eigen machen. Oder anders gesagt: Aus etwas Fremdem etwas Eigenes machen. Lernen ist damit ein Transformationsprozess. Transformieren wiederum heisst: Den Informationen eine innere und äussere Form geben, sie für sich begreifbar machen.

Damit ist klar: Nicht die Quantität steht im Vordergrund, die Menge «behandelten» und «gehabten» Stoffes. Es ist die Qualität der Verarbeitung, die den Unterschied ausmacht. Die Faustregel: Weniger ist mehr. Doch weniger Input führt noch nicht notwendigerweise zu besserem Output. Was es braucht, ist mehr Putput.

Das artet schnell einmal in Arbeit aus. Anstrengung, Leistung, forschende Neugier, Umgang mit Widerständen, das verheisst auf den ersten Blick nicht eitel Freude. Aber nur auf den ersten Blick. Lernfreude ist eben kein Konsumprodukt. Sie bedarf einer Art Inkubationszeit. Das heisst: Sie entwickelt sich in Abhängigkeit zur Qualität der Auseinandersetzung. Oder anders gesagt: Fachliche Fitness gründet auf Freude am Tun, Freude an der Leistung. Es lassen sich allenfalls die Kommaregeln auf dem Display herbeiwischen. Aber nicht das Verstehen.




Lehrplan 21 – warum einfach, wenn es kompliziert auch geht?

 

Die Schule soll Kindern und Jugendlichen helfen, sich im Leben zurechtzufinden. Das ist – wenigstens in den politischen Sonntagsreden – unbestritten. Dafür brauchen sie vielfältige Kompetenzen. Das leuchtet eigentlich auch ein. Also: Alles paletti mit dem Lehrplan 21? Der zielt ja in diese Richtung. Von wegen paletti. Ganz und gar nicht. Der neue Lehrplan für die Volksschulen will nicht so recht aus den Startlöchern kommen. Er hat und macht Mühe. Einer der Gründe: Für den schulischen Alltag scheint er nicht formuliert worden zu sein. Die Lust, sich in den Papierstoss hineinzulesen, hält sich in engen Grenzen – gelinde gesagt.

Für wen wohl Sachen wie «…können unterschiedliche Laute und Lautverbindungen heraushören, im Wort verorten (Anlaut, Mittellaute, Endlaut) und mit Erfahrungen aus der Erstsprache vergleichen …» geschrieben worden sein könnten? Klingt nicht gerade nach schulischem Alltag in der Unterstufe. Aber man weiss ja: Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis meist grösser als in der Theorie.

Wen wundert’s, dass diejenigen, die den Lehrplan umsetzen sollten, (die Lehrer) mit Unterschriftensammlungen aktiv in den Widerstand gehen oder sich ins pädagogische Reduit zurückziehen. Dass dabei auch abstruse und verklärte Argumente ins Feld geführt – und akzeptiert – werden, macht deutlich, auf welcher diffus-emotionalen Ebene die Scharmützel ausgefochten werden.

Die systemtypische Flucht in eine weichgespülte Beschwichtigungsrhetorik macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil! Es ist im Grunde genommen eine Frechheit, über Jahre Unsummen von Geld in die Entwicklung eines Lehrplanes zu buttern, um dann flächendeckend verbale Beruhigungspillen zu verteilen und so zu tun, als ändere sich eigentlich kaum etwas. Natürlich ändert sich etwas. Oder sollte zumindest. Ist ja auch höchste Zeit.

Und im Grunde genommen ist die Sache ja eigentlich auch nicht so kompliziert. Die Schüler sollen etwas lernen. Lernen heisst: etwas wissen und können, das man vorher noch nicht gewusst oder gekonnt hat. Und um einen Jahrmarkt der Beliebigkeit zu vermeiden, kann man das, was zu lernen ist, näher beschreiben. Das ist weder neu noch spektakulär. Gut, wesentlich einfacher und praxistauglicher liessen sich die Dinge schon formulieren. Für die Niederungen des Alltages halt.

Deshalb haben wir den Lehrplan 21 umformuliert – umformuliert in Kompetenzraster. Ein Kompetenzraster vermittelt auf einer A4-Seite einen Überblick über das, was man in einem Fach im Verlaufe der Schulzeit lernen und können könnte. Wie das funktioniert? Ganz einfach: http://www.institut-beatenberg.ch/component/content/article.html?id=136. Die ergänzenden Checklisten geben den Lehrpersonen differenzierte Angaben für die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts. Und die dazu passenden Lernaufgaben machen es möglich, dass Lernende ihren individuellen Möglichkeiten und Zielen entsprechend gefordert werden und sich vertieft und interdisziplinär mit den Themen auseinandersetzen. Relevanz, Verarbeitungstiefe, Nachhaltigkeit sind Stichworte dazu.