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Benehmen als Schulfach: «Danke» haben wir noch nicht gehabt

Benehmen soll ein Schulfach werden. Kein Witz! Für drei Viertel der deutschen Bevölkerung gehört just das auf den Stundenplan. Für die Schweiz sehen die Zahlen ähnlich aus. Auch hierzulande wird es als Aufgabe der Schule betrachtet, dem Nachwuchs Flötentöne beizubringen.

«Hattet ihr heute Benehmen?» – «Nein, ist ausgefallen.» «Hast du die Hausaufgaben in Benehmen schon gemacht?» «Habt ihr in Benehmen schon gelernt, danke zu sagen?» – «Nein, das war noch nicht dran.»

Das ist natürlich Nonsens. Abgesehen davon, dass das Konzept der Schulfächer an sich revisionsbedürftig ist – benehmen und sich anständig verhalten lernt man nun wirklich nicht, weil es auf dem Stundenplan steht. Die Kinderstube lässt weder vor den Bildschirm verlagern noch durch Arbeitsblätter ersetzen.

Dennoch: Die Schule kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen und den Anstands-Schwarzpeter bequem an die Eltern zurückadressieren. Im Gegenteil: Schulisches Lernen ist nichts anderes als menschliches Verhalten. Die Menschen treffen sich in der Schule. Sie verhalten sich irgendwie. Und dieses Verhalten bringt sie irgendwo hin. Wer also will, dass Lernende erfolgreich sind, muss sich vorrangig um ihr Verhalten kümmern. Um ein Verhalten, das hilft, den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein. Und da gehört anständiges Benehmen dazu! Rücksicht. Respekt – sich, anderen und den Dingen gegenüber.

Aber: Jedes Verhalten steht in Abhängigkeit zum Kontext. Niemand geht beispielsweise in Badehosen vom Strand an eine Beerdigung. Nicht weil es verboten ist, sondern weil, was hier passt, sich dort nicht geziemt. Für die Schule heisst das: Eine Kultur aufbauen damit eine kontextuelle Bezugsnorm schaffen, die Respekt und Anstand zum Normalverhalten macht. Benehmen ist Alltag, kein Schulfach.

Eine der Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen ist allerdings, sich von Erwachsenen zu lösen, sich abzugrenzen. Abgrenzen kann man sich freilich nur, wenn es Grenzen gibt. Eine Kultur des Anstands braucht deshalb Grenzen. Eine Kultur des Anstands ist damit auch eine Einforderungskultur mit transparenten Erwartungen. Dabei geht es nicht um den kniggetauglichen Gebrauch der Schneckenzange oder des Austernlöffels. Es geht um elementare Dinge. Zum Beispiel, dass man lernt, «bitte» zu sagen. Oder «danke».

Dankbarkeit geht übrigens weit über anständiges Benehmen hinaus. Dankbarkeit steht für eine Werthaltung. Und Dankbarkeit fördert die Lebenszufriedenheit. Das hat eine Studie eindrücklich unter Beweis gestellt: Die Versuchspersonen nahmen sich am Abend jeweils fünf Minuten Zeit um aufzuschreiben, wofür sie an diesem Tag dankbar waren. Das ist wenig. Und doch unglaublich viel.